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Anmerkungen aus einer anderen Welt

Wenn es sich gar nicht umgehen lässt, muss ich, was rund einmal in drei Jahren vorkommt, doch in ein Einkaufszentrum. Nach einigen Minuten bereits, in denen ich versuche mir einzureden, es sei nicht so schlimm, reißt regelmäßig meine dünne Haut. Ich sehe ein Spektakel desensibilisierter Körper, stressverzerrter Fratzen, ungläubiger Kleinkinder, leerer Gesichter, ferngesteuerter Einkaufsroboter, cooler Jugendlicher und lautstarker Selbstbetäubungsrituale. Tief traurig finde ich mich jedes Mal beinah fassungslos auf dem Parkplatz vor diesen blechkistenverpackten affektierten Konsumwelten wieder.

Auch am Donnerstag, den 12.November war das so.

Ich näherte mich dem Designcenter und spürte dieses mulmige Gefühl in mir hochkommen. In der Halle schien etwas – der Teufel? – los zu sein. In der Eingangsschleuse, ein Abfertigungs-Unraum, in dem nur dein Strichcode zählt, gelang es mir, die ersten Schlangen, die sich gerade zu bilden anschickten, zu umgehen. Ein entwürdigendes Willkommen. Und dann, mehr einen Schupps als einen Schritt weiter, war ich mitten drin: In der Bildungsmesse, in der Interpädagogica 2015 mit 227 Ausstellern und 127 Veranstaltungen, die an drei Tagen an die 11.000 Besuchende anlocken sollte.

Mein erster Eindruck: Nein!

Grelle Farben und lautes Marktgeschrei umklammerten unmittelbar meine Rezeptoren. Ein Overload der Sonderklasse brach über mich herein. Nach dem Betreten der Halle musste ich stehen bleiben. Mein Körper suchte nach einer Chance, sich einzustellen auf diese Attacke, sich zu rüsten für diesen Krieg, sich zu arrangieren mit dieser Aggression, die ihn erwartete.

Der Messe-Raum beim Eintreten war bei Weitem kein großzüger Hallen-Innenraum. Er war vielmehr vom ersten Meter an zugemüllt mit Messeständen, die fast ausschließlich aus ingenieurhaft-praktischen Systembauten zusammengekleistert waren. Die Messestände gerieten sich in den mehr oder weniger überlegten Arrangements in die Haare. Die einzelnen Welten einer neuen Pädagogik, die von angeheuerten meist weiblichen Jugendlichen an der Messestraße zuvor beworben werden mussten, standen beziehungslos nebeneinander. Eine lärmende, geifernde Welt, in der alle für ihr (wirtschaftliches) Überleben um die Wette lächelten, bettelten oder schrien.

Der Infostand links neben dem Haupt-Einwurf (es war kein Haupt-Eingang) stellte das Zentrum dieses Tornados dar. Ein bisschen beschichteter Pressspann mit dem obligatorischen weiblichen Konterfei bemühte sich redlich. Auf meine mehr metaphorische Frage »Wo ist die Mitte?«, konnte es keine Antwort geben. Die Bildungsmesse offenbarte sich mir als ein haltloses Universum von umher flirrenden Partikularinteressen, ähnlich den bereits fein zerriebenen Plastikpartikeln, die im Ozean die Mägen lebendig verhungernder Fische füllen.

In mitten dieses Treibens dümpelt der Messestand des Oberösterreichischen Landesschulrates verloren dahin. Man kann den Landesschulrat mögen oder auch nicht. Viele wollen ihn ganz abschaffen, manche nur den Präsidenten, dennoch: Der Landesschulrat als ein kleines Ständchen unter den vielen Unternehmen? Was, wenn hier eine engagierte Behörde dem Gelingen ihrer Kunden – der Lehrenden – eine Plattform böte, auf der sie sich laben können, auf der sie gestärkt werden, um einen kritischen Zugang zum Bildungsmarktgeschrei zu finden. Warum ist es für uns so schwer, sich den Landesschulrat ähnlich engagiert wie eine Konsumentenschutzorganisation vorzustellen?

Um 10 Uhr 30 lud ich meinen Vortrag auf den Laptop am Podium im großen Kongresssaal, in dem sich bereits rund 80 Leute eingefunden hatten. Neben mir ein Kerl im Business-Anzug, der sich die Technik der Mikrofone erklären ließ. Wir begrüßten uns nicht. Er entpuppte sich sodann als Geschäftsführer des Messeveranstalters und startete mit dem üblichen Programm: »Sehr geehrter Herr Präsident … geehrte Frau Vizebürgermeisterin … geehrter Herr Ministerialrat … geehrter Herr hier … geehrter Herr dort …« Insgesamt wurden weit mehr Herren als Damen angesprochen, eh klar. Nun gut, dachte ich mir, der muss eben taff und brav Grußworte ausrichten, will er doch weiterhin fleißig Geld verdienen mit seinem Messe-Knowhow. Dann kam der Präsident … und auch er startete mit dem üblichen Programm: »Sehr geehrter Herr Geschäftsführer … geehrte Frau Vizebürgermeisterin … geehrter Herr Ministerialrat … geehrter Herr hier … geehrter Herr dort …« Insgesamt wurden weit mehr Herren als Damen angesprochen, eh klar. Nun gut, dachte ich mir, der muss eben was Gescheites sagen, weil er der Präsident ist, der nicht abgeschafft werden will. Dann  kam der Ministerialrat … und auch er startete mit dem übliche Programm: »Sehr geehrter Herr Präsident … geehrte Frau Vizebürgermeisterin … geehrter Herr Geschäftsführer … geehrter Herr hier … geehrter Herr dort …« Insgesamt wurden weit mehr Herren als Damen angesprochen, eh klar. Nun gut, dachte ich mir, der muss eben auch was Gescheites sagen, weil er vom Bund ist, der nicht dem Land die ganze Show überlassen will.

Mir wurde langsam langweilig. Es kam die Vizebürgermeisterin an die Reihe … und auch sie startet wieder mit dem üblichen Programm: »Sehr geehrter Herr Präsident … geehrter Herr Geschäftsführer … geehrter Herr Ministerialrat … geehrter Herr hier … geehrter Herr dort …« Insgesamt wurden weit mehr Herren als Damen angesprochen, eh klar. Nun gut, dachte ich mir, die darf – jetzt hoffentlich bald! – eröffnen, weil nach dem Bund und dem Land auch die Stadt etwas bedeutet …

Wie immer in solchen Momenten, suchten sich die Blicke im Publikum, denn: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich klatschte nicht. Weder beim Präsident noch bei der Vizebürgermeisterin, weder beim Ministerialrat noch beim Geschäftsführer. Warum auch? Erstaunlicherweise schloss sich das Publikum mir nur an, als die Dankesworte für die Crew zur Messe abgearbeitet wurden. Ich ärgerte mich, genau hier nicht applaudiert zu haben. Diese Leute hätten sich das wohl verdient – aufgrund ihres Einsatzes, nicht wegen des Ergebnisses. Die Vorfreude, nun anschließend einen Vortrag zu halten, stieg beständig, konnte ich doch auf einige Worte wunderbar antworten und die Sonntagsreden insgesamt in meinen Vortrag in Spannung setzen oder zur Diskussion stellen, wenn etwa auf intelligente Weise von Martin Buber und seinen Vorstellungen zum Dialog referiert wurde – von Leuten aus dem Ministerium, das für gefühlte 90% an der Basis genau diesen Dialog beispielsweise im Schulbau vermissen lässt.

Richtig munter wurde ich erst, als ich das selbstgefällige »So, und jetzt schauen wir uns die Messe an!« vernahm und sich die wechselseitig geehrte und von Pressefotografen wie von Fliegen umschwirrte Kleingesellschaft anschickte, den Saal zu verlassen. Keine Ankündigung, wie es hier weitergeht? Nach ein paar Sekunden wurde mir bewusst: Jetzt muss ich etwas sagen, sonst sind alle weg! Also huschte ich schnell aufs Podium und ran ans Mikro: »Wer nun eine kritische Reflexion hören und sehen will, was Politik, Verwaltung und Wirtschaft nicht an Versprechen einlösen, kann hier bleiben, alle anderen – wie auch die Verantwortlichen – können gehen.« Die kleine Schar an Wichtigen hielt kurz an, sie standen eine Weile im oberen Drittel auf den Stufen neben dem Saalausgang, ehe sie sich davonschlichen … ich nehme an, die Messe hat ihnen beim Rundgang sehr gut gefallen.

Mein dann folgender Vortrag war nicht gut. Ich war zu wütend und schimpfte mich durch meine Redezeit. In der Erregung habe ich auch die Tonaufnahme vergessen (weswegen es hier keine Wiedergabe gibt). Das Publikum war dennoch freundlich zu mir. Nach einer halben Stunde wurde ich nach Lösungen gefragt. Natürlich gibt es die – sie sind allerdings keine Rezepte mehr. Lösungen geraten zu Anleitungen für Wege, die jede Schule selbst wählen ›muss‹ und gehen ›darf‹ (nicht im Sinne des Erlaubt-Seins). Im Wesentlichen kann ich vieles aus meinen Vortrag auf ein Zitat von Hartmut von Hentig konzentrieren. Er fragte 1971(!) in seinem Büchlein ›Cuernavaca oder: Alternativen zur Schule?‹ (Klett/Kösel. Stuttgart/München 1971, S. 132):

Als was wir die Sterilisierung unserer Selbsterfahrung, unserer inneren Umwelt überleben, weiß niemand.

An jenem Tag habe ich diesen Satz noch tiefer verstanden.

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