schulRAUMkultur

schulRAUMkultur umfasst Schulkultur und Baukultur. schulRAUMkultur steht für einen kooperativen Spirit von Prozessen in der Schulraumproduktion. … weiterlesen

Blog

Schule in der Villa © 2014 Michael Zinner

Als ich die frisch gegründete ROSE 2014 besuchte, bezauberte mich dieses erste Bild. Das orange Licht der Vorhänge, der leicht wehende Wind in den Zeichenblättern, die stille Zufriedenheit im Garten vor der Tür … ich atmete tief durch und hatte den Leitspruch der Schule vor Augen … eine ROSE ist eine ROSE … ist eine Schule. Lächelnd nahm ich wahr, wie einfach und selbstverständlich sich dieser Ort anfühlte. Er war im besten Sinn radikal. Die Villa wurde als Wohnhaus errichtet. Und die ROSE genoss diese Villa als Wohnhaus für das Lernen.

Sieben Jahre und zwei Übersiedlungen später wohnt nun die ROSE in der Tabakfabrik in Linz. Die Schule ist sich treu geblieben. Auch in Linz bleiben die ehemaligen Lagerräume spürbar. Die Selbstverständlichkeit, mit der die ROSE Räume annimmt bzw. in ihnen lernt, lebt und wohnt, hat sich seit 2014 weiterentwickelt. Jedes Mal freue ich mich aufs Neue, wenn die vielen Menschen, die vorbeikommen, ihre Frage stellen: „Was ist das?“ Wie schön, dass sich diese Schule ihre genuine Erotik erhalten kann … die Räumlichkeiten werden nicht erkannt als ein Schulbau, der auf eine lange Tradition von demütigendem wie gewalttätigem Raum zurückblickt.

Schule im Großraumbüro © 2022 Michael Zinner

Im feudalen Alteuropa haben sich Schulen in Räumen eingefunden, die schon einen Sinn in sich trugen, wie das Kloster beispielsweise oder ein kleines Wohnhaus. In den Jahrhunderten danach wurde unter der Feder von Fachleuten Schule zur Type. Eine beträchtliche Anzahl an Typologien wurden erfunden. Es galt, effiziente bauliche Leistungsformen für „Schule“ zu kreieren. Und diese Zweck-Ausrichtung riechen wir noch heute alle. Zweck ist nicht Sinn. Schule verkam auch baulich zu einer utilitaristischen Tat, scheinbar gut, doch im Grunde entmenschlicht. Wir kennen sie also alle: die Gangschule, die Pavillonschule, die Hallenschule oder neuerdings die Clusterschule.

Im modernen Europa können wir von einem nach-typologischen Schulbau sprechen. Solche Schulen suchen sich Gelegenheiten, nutzen Netzwerke, erkennen Zwischenräume oder günstige Momente. Die Volksschule Feldkirchen an der Donau, die während einer Bauzeit den gesamten Dorfkern belebte, ist so ein Beispiel, das ich hier im Blog bereits beschrieben habe (Ein ganzer Ort macht Schule). Und die ROSE ist nun ein nächstes Beispiel für eine Schule, die die Stadt und den digitalen Hub um sich herum als ihre Welt versteht, nutzt und belebt. Die ROSE hat kein Raumprogramm, sie nutzt fix oder temporär (an)gemieteten Bestand auf wohnliche Weise.

Schule im Industriebau © 2022 Michael Zinner

Fast alle Schul(baut)en erleiden atmosphärische Infarkte, selbst die besten und später ausgezeichneten Bauten. Sie alle schaffen es nicht, die ungeschminkte Wahrheit zu verstecken, nämlich von einer – im tieferen Sinn des Wortes – „gnadenlosen“ Verzweckung, Rationalisierung und Nutzsteigerung getrieben zu sein. Wenn aus allen Ritzen Putzbarkeit, Haftungssicherheit und Bestleistung herausschreien, bleibt das spürbar. Menschen spüren das (meist ohne es beschreiben zu können), Kinder und Jugendliche noch ungeschönter, weil sie noch offener als Erwachsene sind, die sich und ihre Wahrnehmung von Welt bereits arrangiert haben. Ich hoffe, die ROSE fühlt sich anders an.

Im Bereich von Architektur und Raumordnung eignen sich Schulen hervorragend für die anstehende „Weltrettung“ (ja, es darf mittlerweile so gesagt werden): sie sind die am häufigsten nötige öffentliche Bauaufgabe und bergen damit das wirksamste Potenzial für eine gesellschaftliche Vorbildfunktion im Umgang mit Raum und Boden. Was die Fachwelt(en) im Schulbau beweisen könnten, ist, wie Wege aus der Boden-Not sinnvoll beschritten werden müssen. Ich lade daher Landesregierungen, Bund und BIG ein, Schulbau nicht mehr als Neubau auf die grüne Wiese zu stellen. Bestand, Bestand, Bestand … ob eine aufgelassene Supermarktfiliale, ein altes Lagerhaus, ein nächster Bauernhof … alle diese im doppelten Sinn „raumgewordenen Energien“ sind schon da – nutzen wir sie bitte. Lernen wir zumindest, unsere Gier nach „Mehr“ nicht quantitativ, sondern qualitativ zu leben.

Schule im Ex-Fabriksgelände © 2022 Michael Zinner

 

der Text von Michael Zinner über die ROSE vom 04.Juli 2023

der Artikel von Wojciech Czaja im online-Standard vom 17.September 2022

der Artikel von Reinhold Gruber in den online-Nachrichten vom 23.April 2022

der Link zur Präsentation der ROSE bei architektur in progress am 15.06.202

der Link zum Eintrag der ROSE in die Architekturdatenbank "nextroom"

 

Vor eineinhalb Jahren haben sich einige Architekturstudierende in Graz vorgenommen, über Lehre, Praxis und Diskurs in der Architektur in Form des eigenen Architekturmagazins „LAMA“ öffentlich nachzudenken. Sie nennen sich „lösungsorientiert“ und dennoch oder deswegen „unabhängig“, ihr Vorhaben will „unbequem“ sein. Das ist schlicht großartig. Studierende sind sie zwar noch nicht abhängig von Auftraggebenden und müssen sie noch nicht monatlich mit einem eigenen Büro wirtschaftlich überleben, doch stehen auch sie unter Druck in ihrem Leben (neoliberale Bildungspolitik, konservativ organisierte Universitäten, prekäre Jobs in Büros). Umso größer ist mein Respekt, wenn Studierende wie Absolvent·innen „ungeniert“ mit konsequentem Blick über den Tellerrand drauflosschreiben.

der Einband mit Rück- und Vorderseite des Architekturmagazins LAMA 2/9

Warum finden zu wenige authentischen Diskussionen statt? Wird zu viel schöngeredet oder zu wenig Klartext formuliert? Braucht also die Architekturwelt ein Magazin von Studierenden, um Fragen zu stellen, die mir auffällig oft fehlen, wenn sich die Fachwelt in den Architekturhäusern unserer Bundesländer öffentlich (und meist in ihrer Blase) äußert? Ich sage gerne „ja“.

LAMA will innerhalb von drei Jahren strukturiert vorgehen, um schlussendlich ein „Handbuch für eine gesellschaftsbildende Architekturkommunikation“ zu verfassen. In neun konzipierten Heften werden Lehre, Praxis und Diskurs von, in und zu Architektur kritisch reflektiert. Ich freue mich über diese Initiative. Die Fragen, die hier gestellt werden, sprechen mich an. Daher habe ich mich im Herbst 2019 spontan dazu entschieden, mitzuwirken und auf einen Call zu reagieren. Ich bedanke mich bei der LAMA-Redaktion für die Möglichkeit, einen Text im Heft #2 zu publizieren. Hier die neun Nummern von LAMA:

FRAGEN NACH DER RELEVANZ
#1 Warum ist die Architekturlehre nicht mehr gesellschaftsbildend? (publiziert)
#2 Warum ist die Architekturpraxis nicht mehr gesellschaftsbildend? (publiziert)
#3 Warum ist der Architekturdiskurs nicht mehr gesellschaftsbildend?

FRAGEN NACH DER PERFORMANCE
#4 Was soll die Architekturlehre leisten?
#5 Was soll die Architekturpraxis leisten?
#6 Was soll der Architekturdiskurs leisten?

FRAGEN NACH DER ZUKUNFT
#7 Wie können wir die Architekturlehre gestalten?
#8 Wie können wir die Architekturpraxis gestalten?
#9 Wie können wir den Architekturdiskurs gestalten?

Die Redaktion veranstaltet zu ihren Ausgaben via Zoom Online-Release-Formate, die auf Facebook geteilt werden. Neben Theresa Reisenhofer mit ihrem Beitrag „Gute Architekt*innen sind Arschlöcher, oder?“ und dem CHCC Kollektiv mit „Das Ende des Commoning“ werde auch ich einen Impuls zu meinem Text „in welcher Blase? verstehen und verstanden werden wollen“ halten und hoffe natürlich auf ein sehr aktives und diskussionsfreudiges Publikum. Hier abschließend die Links:

der Zoom-Link zum Online-Talk am 28.01.2021 um 19 Uhr

zur Website von LAMA, auf der die Hefte #1 und #2 bestellt werden können

hier mein Text im LAMA-Heft#2 als PDF inkl. Editorial und Impressum



fünf Freunde am 14.09.2020 um 8 Uhr 48 © Rosa Strasser

Als ich mich 2011 dazu entschied, mich dem Thema Schule und Architektur zu widmen, waren viele Spuren in die Zukunft gelegt. Das Symposium „schulRAUMkultur“ 2012, die Dissertation „Schulen bilden“ 2016, das Bildungsprojekt „PULS+“ von 2017 bis 2020 und der Universitätskurs „Lernen und Raum entwickeln“ von 2018 bis 2020 sind beispielhafte Eckpfeiler bzw. – in einer leistungsbezogenen Sprache – „Outputs“ dieser meiner damals begonnenen Forschungsreise. Ein weiterer sollte die im März 2017 formulierte Selbstverpflichtung werden, im Rahmen von PULS+ ein sogenanntes „Lernbuch“ zum Thema „Führung und Autorinnenschaft in der Architektur“ zu schreiben.

Nun ist es soweit. Mit Freitag, dem 16.10.2020 geht/ging die Microsite „notizen zu Architektur und Bildung“ im Klinkhardt Verlag online. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei dem EU-Programm Erasmus+, der Freien Universität Bozen, der Kunstuniversität Linz – und schließlich bei mir selbst, also bei meiner Plattform schulRAUMkultur für die Unterstützung. Aus dem einen abgeschlossenen gedruckten Buch ist die andere wachsende digitale Sammlung von Notizen geworden. Zu dem einen Architekturprofessor an der Kunstuniversität Linz (mir selbst) gesellte sich die andere freiberufliche Organisationsberaterin und Entwicklungsexpertin aus Wien (Rosa Strasser) von Anfang an dazu.

Doch damit nicht genug, begannen wir an einem Projekt zu feilen, das – in der letzten Phase von der Pandemie befeuert – einen größeren Rahmen aufspannt, insbesondere einen zwischen Architektur und Bildung, also etwas, das wir – so es gelingt – in einigen Jahren transdisziplinär nennen dürfen. Und so kamen auch der eine Schuldirektor für den Schulsprengel Welsberg mit seinen sechs Standorten (Josef Watschinger), die andere Professorin für Allgemeine Didaktik an der Freien Universität Bozen (Beate Weyland) und die auch eine Inklusionsexpertin in der Bildungsdirektion Tirol (Ingrid Handle) dazu.

Diese „Gründungsredaktion“ von fünf Freunden wird sich nun – wo ihre ersten neun selbstverfassten Notizen frei zum Download verfügbar sind – auf den Weg machen, um das Projekt im nächsten Jahr 2021 professionell für weitere Kreise von Schreibenden zu öffnen. Eine dreidimensionale Struktur, ein Würfelraum, der das Rankgerüst für einzelne Notizen bietet, bildet die Struktur unseres „Lebend-Buches“ (in 3D „Tafelraum“, in 2D „Tafelbild“ genannt). In Zugängen und Aspekten aufgespannt laden wir zu einem Sinnieren in den Tiefen von Praxis und Gegenwart ein. Wir freuen uns auf persönliche Beiträge mit solider fachlicher Basis und inspiriertem Geist.

notizen zu Architektur und Bildung

Kinder und Holz

im Wald © Michael Zinner 2011
 

Es war eine feine Gelegenheit, zu Sommeranfang 2019 für pro:Holz Oberösterreich etwas zum Thema Holz zu verfassen. Klar, alle denken vorerst an Nachhaltigkeit, an das Gute, an unsere letzte Chance im globalen Wettlauf um die Wende … doch jenseits dieser Geschäftigkeit hat mich gänzlich anderes interessiert:

Wenn ich mich an die Orte meiner Kindheit im Wald er-inner-e, dann denke ich nicht an Holz. Ich rieche es, ich spüre es, ja ich höre es. Ich rieche noch diese schwere Süße des schwarzen Waldes im Sommer. Ich spüre noch, wie das Harz zwischen meinen Fingern diese fest verklebt. Ich höre noch dieses eigentümliche Rauschen der schweren Nadelbäume, die hoch oben über mir mit dem Wind ein Gespräch führten. Stundenlang haben wir Kinder am Fuße der Bäume mit Moos, Holzstöckchen und Reisig Häuser gebaut. Ja, der Wald, er war mir eine kühle, dunkle und friedliche Mutter in den Sommermonaten meiner Kindheit.

Ich werde still und traurig, wenn ich mir vergegenwärtige, wie wenig Wald in der Schule möglich war. Das war in den 1970er Jahren. Und heute? Als ich im Herbst 2018 auf der Interpädagogica in Graz dem damaligen (wie heutigen) Bildungsminister Faßmann von der Balance zwischen den beiden Sprachen, dem neuen „digitalisch“ und dem alten „sinnli(s)ch“ erzählte, nickte er freundlich. Was sollte er anderes tun? Alle nicken, wenn es um schöne Gedanke geht.

Seither warte ich. Ich warte, bis die Bundesimmobiliengesellschaft im Auftrag des Bundesministeriums beginnt, Bauernhöfe anzukaufen, wenn sie aufgegeben werden (gesagt habe ich es den Verantwortlichen). Ich warte auf schöne üppige Gärten für Kinder. Ich warte auf allgegenwärtige Natur im Schulalltag. Ich warte auf stille Wälder für Kindheiten. Ich warte auf ein Curriculum der neuen Sprachen.   


gute Gärten für Kinder (Text von Michael Zinner)

Logos der 11 Partnerinnen und der EU im Projekt PULS+

Logos der 11 Partnerinnen und der EU im Projekt PULS+


Ein Schulbauvorhaben dauert mitunter Jahre, steht vielleicht mehrmals auf der Kippe und ist immer häufiger Brennpunkt unterschiedlichster Interessen. Das kann auch erschöpfen. Doch so groß die Mühen, so einzigartig sind die Chancen – für Schulentwicklung, für Baukultur und für Bildungspolitik. Schulbau kann katalytische Kraft entfalten, und hilft vielleichtsogar, funktionalistisches Denken zu überwinden, wie jener Ausspruch meines Freundes Josef Watschinger, seines Zeichen Schulleiter, zeigt, den ich im Gespräch mit ihmum den zweiten Satz erweitert konnte. Es war vor allem diese Qualität von Wechselseitigkeit im Dialog zwischen uns beiden, der uns zu diesen tiefen Einsichten führte:

die Architektur dient der Schule
die Schule dient der Architektur

Jenseits dieser Essenzen behandelt der von mir verfasste Artikel im Schwerpunktheft „Lernen und Raum“ der Fachzeitschrift SchulVerwaltung Inhalte und Ziele des Bildungsprojektes PULS+, ein dreijähriges Erasmus+Projekt der EU, das nun im Herbst 2020 zu Ende gehen wird. Neben vielen Anderem entspringt daraus auch ein digitales Buchprojekt, das sich um „Tiefenbohrungen“ zwischen (wieder: zwischen!) Bildung und Architektur bemüht – bald mehr.


wie entwickeln wir Lernen und Raum? (Artikel von Michael Zinner)

© Kurt Hörbst

 

Begonnen hat alles 2012 in Linz. Die Leiter des Schulamts und des Bauamts der Stadt Leoben besuchten das Symposium ›schulRAUMkultur‹. Ein halbes Jahr später erfolgte ein erster Anruf, kurz darauf fand im Herbst 2013 eine ›nonconform ideenwerkstatt‹ mit drei Schulen statt. Im Ortsteil Donawitz entwickelte sich ein Pilot- und Forschungsprojekt. In Form eines frisch-sanierten Schulhauses war es drei Jahre später fertiggestellt. Und in Form umfangreicher Dokumentationen, Interviews und Reflexionen bildet es den Kern meiner Dissertation. Im September 2016 wurde das Haus feierlich eröffnet. Ein Monat später bildete das Rigorosum meiner Doktorarbeit »Schulen bilden« an der Kunstuniversität Linz auch den Abschluss der Forschungstätigkeit.

 

Zum ›Bildungszentrum Pestalozzi‹ sind hier drei Beiträge als Download vorbereitet. Christian Kühn hat darüber im Spectrum der Presse am 11.03.2017 unter dem Titel »Licht von allen Seiten« berichtet. Ich selbst habe in der von Franz Hammerer und Katharina Rosenberger im Herbst 2017 herausgegebenen Broschüre »RaumBildung4« einen Beitrag verfasst (Seite 24 bis 45). Und im Jänner 2018 konnten die Kunstuniversität Linz, die Stadt Leoben und das Büro nonconform das Heft »3 Schulen unter einem Dach« herausgeben. Alle drei Publikationen sind hier im Download verfügbar:

 

Licht von allen Seiten (Artikel von Christian Kühn im Spectrum)

Bildungungszentrum Pestalozzi (Beitrag von Michael Zinner in RaumBildung 4)

3 Schulen unter einem Dach (Broschüre von Stadt Leoben & schulRAUMkultur & nonconform)

Feldkirchen an der Donau jubelt und wird bejubelt. Ein Juwel des zeitgenössischen Schulbaus und eine engagierte pädagogische Praxis heben diese oberösterreichische Gemeinde ins Rampenlicht. Dass dies gelungen ist, hat viele Gründe. Einer wäre fast übersehen worden. Die Zwischennutzung während der Baustellenzeit war ein beeindruckender Kraftakt zivilgesellschaftlicher Courage und Kooperation, bereitete das Lehrerinnenteam gewissermaßen unbeabsichtigt auf ihre Praxis in der Clusterschule vor und setzte nach fast 40 Jahren ein avanciertes Schulkonzept der 1970er Jahre in die Realität um. Die Wanderschule Feldkirchen ist schon wieder Geschichte – aber sie hat in Feldkirchen Geschichte geschrieben …

Die Details sind im Download nachzulesen. Der Text ist die geringfügig überarbeitete Version meines Fachbeitrags in der Zeitschrift schulheft 163, die im Herbst 2016 erschienen ist. Das Bauwerk von fasch&fuchs.architekten, in aller Munde, kann meiner Meinung nach grundlegender, tiefgründiger verstanden werden, wenn die Vorgeschichte mitberücksichtigt wird. Diese wäre beinahe in der Geschichte abgetaucht. Durch einen glücklichen Zufall konnte ich sie bergen und sichern. Sie zeigt sehr gut, wie sinnvoll raumbezogene Schulentwicklung für das Gelingen von bester Architektur sein kann. 

Sitzungssaal der Gemeinde im Gebrauch als Schule © Gemeinde Feldkirchen an der Donau

Der Gebrauch von Architektur ist ein Tanz mit Gewohnheiten. Architekturschaffende tendieren verständlicherweise dazu, den realen (nicht den vorgestellten) Gebrauch nicht mehr zu sehen. Gebrauch ist schnell unsichtbar, weil „ungesehen“, Gebrauch findet nach unserer Schaffensphase statt. Daher sind beide Phasen – die Phase 0, Projektentwicklung, und die Phase 10, Besiedlungsbegleitung – relevant für Schulumbauten, die den Laien ein neues Agieren abverlangen. Ich werde demnächst davon berichten – in Leoben wurde ich für die Phase 10 im Bildungszentrum Pestalozzi beauftragt – ein Experiment!

Der Hinweis auf den Originalbeitrag im schulheft 163: Zinner, Michael (2016): Ein ganzer Ort macht Schule. Textbeitrag in: Rosenberger, Katharina; Lindner, Doris; Hammerer, Franz (2016, Red.): SchulRäume. Einblicke in die Wirklichkeit neuer Lernwelten. schulheft 163; 41.Jahrgang; StudienVerlag Innsbruck. 77–88

Ein ganzer Ort macht Schule

Wenn es sich gar nicht umgehen lässt, muss ich, was rund einmal in drei Jahren vorkommt, doch in ein Einkaufszentrum. Nach einigen Minuten bereits, in denen ich versuche mir einzureden, es sei nicht so schlimm, reißt regelmäßig meine dünne Haut. Ich sehe ein Spektakel desensibilisierter Körper, stressverzerrter Fratzen, ungläubiger Kleinkinder, leerer Gesichter, ferngesteuerter Einkaufsroboter, cooler Jugendlicher und lautstarker Selbstbetäubungsrituale. Tief traurig finde ich mich jedes Mal beinah fassungslos auf dem Parkplatz vor diesen blechkistenverpackten affektierten Konsumwelten wieder.

Auch am Donnerstag, den 12.November war das so.

Ich näherte mich dem Designcenter und spürte dieses mulmige Gefühl in mir hochkommen. In der Halle schien etwas – der Teufel? – los zu sein. In der Eingangsschleuse, ein Abfertigungs-Unraum, in dem nur dein Strichcode zählt, gelang es mir, die ersten Schlangen, die sich gerade zu bilden anschickten, zu umgehen. Ein entwürdigendes Willkommen. Und dann, mehr einen Schupps als einen Schritt weiter, war ich mitten drin: In der Bildungsmesse, in der Interpädagogica 2015 mit 227 Ausstellern und 127 Veranstaltungen, die an drei Tagen an die 11.000 Besuchende anlocken sollte.

Mein erster Eindruck: Nein!

Grelle Farben und lautes Marktgeschrei umklammerten unmittelbar meine Rezeptoren. Ein Overload der Sonderklasse brach über mich herein. Nach dem Betreten der Halle musste ich stehen bleiben. Mein Körper suchte nach einer Chance, sich einzustellen auf diese Attacke, sich zu rüsten für diesen Krieg, sich zu arrangieren mit dieser Aggression, die ihn erwartete.

Der Messe-Raum beim Eintreten war bei Weitem kein großzüger Hallen-Innenraum. Er war vielmehr vom ersten Meter an zugemüllt mit Messeständen, die fast ausschließlich aus ingenieurhaft-praktischen Systembauten zusammengekleistert waren. Die Messestände gerieten sich in den mehr oder weniger überlegten Arrangements in die Haare. Die einzelnen Welten einer neuen Pädagogik, die von angeheuerten meist weiblichen Jugendlichen an der Messestraße zuvor beworben werden mussten, standen beziehungslos nebeneinander. Eine lärmende, geifernde Welt, in der alle für ihr (wirtschaftliches) Überleben um die Wette lächelten, bettelten oder schrien.

Der Infostand links neben dem Haupt-Einwurf (es war kein Haupt-Eingang) stellte das Zentrum dieses Tornados dar. Ein bisschen beschichteter Pressspann mit dem obligatorischen weiblichen Konterfei bemühte sich redlich. Auf meine mehr metaphorische Frage »Wo ist die Mitte?«, konnte es keine Antwort geben. Die Bildungsmesse offenbarte sich mir als ein haltloses Universum von umher flirrenden Partikularinteressen, ähnlich den bereits fein zerriebenen Plastikpartikeln, die im Ozean die Mägen lebendig verhungernder Fische füllen.

In mitten dieses Treibens dümpelt der Messestand des Oberösterreichischen Landesschulrates verloren dahin. Man kann den Landesschulrat mögen oder auch nicht. Viele wollen ihn ganz abschaffen, manche nur den Präsidenten, dennoch: Der Landesschulrat als ein kleines Ständchen unter den vielen Unternehmen? Was, wenn hier eine engagierte Behörde dem Gelingen ihrer Kunden – der Lehrenden – eine Plattform böte, auf der sie sich laben können, auf der sie gestärkt werden, um einen kritischen Zugang zum Bildungsmarktgeschrei zu finden. Warum ist es für uns so schwer, sich den Landesschulrat ähnlich engagiert wie eine Konsumentenschutzorganisation vorzustellen?

Um 10 Uhr 30 lud ich meinen Vortrag auf den Laptop am Podium im großen Kongresssaal, in dem sich bereits rund 80 Leute eingefunden hatten. Neben mir ein Kerl im Business-Anzug, der sich die Technik der Mikrofone erklären ließ. Wir begrüßten uns nicht. Er entpuppte sich sodann als Geschäftsführer des Messeveranstalters und startete mit dem üblichen Programm: »Sehr geehrter Herr Präsident … geehrte Frau Vizebürgermeisterin … geehrter Herr Ministerialrat … geehrter Herr hier … geehrter Herr dort …« Insgesamt wurden weit mehr Herren als Damen angesprochen, eh klar. Nun gut, dachte ich mir, der muss eben taff und brav Grußworte ausrichten, will er doch weiterhin fleißig Geld verdienen mit seinem Messe-Knowhow. Dann kam der Präsident … und auch er startete mit dem üblichen Programm: »Sehr geehrter Herr Geschäftsführer … geehrte Frau Vizebürgermeisterin … geehrter Herr Ministerialrat … geehrter Herr hier … geehrter Herr dort …« Insgesamt wurden weit mehr Herren als Damen angesprochen, eh klar. Nun gut, dachte ich mir, der muss eben was Gescheites sagen, weil er der Präsident ist, der nicht abgeschafft werden will. Dann  kam der Ministerialrat … und auch er startete mit dem übliche Programm: »Sehr geehrter Herr Präsident … geehrte Frau Vizebürgermeisterin … geehrter Herr Geschäftsführer … geehrter Herr hier … geehrter Herr dort …« Insgesamt wurden weit mehr Herren als Damen angesprochen, eh klar. Nun gut, dachte ich mir, der muss eben auch was Gescheites sagen, weil er vom Bund ist, der nicht dem Land die ganze Show überlassen will.

Mir wurde langsam langweilig. Es kam die Vizebürgermeisterin an die Reihe … und auch sie startet wieder mit dem üblichen Programm: »Sehr geehrter Herr Präsident … geehrter Herr Geschäftsführer … geehrter Herr Ministerialrat … geehrter Herr hier … geehrter Herr dort …« Insgesamt wurden weit mehr Herren als Damen angesprochen, eh klar. Nun gut, dachte ich mir, die darf – jetzt hoffentlich bald! – eröffnen, weil nach dem Bund und dem Land auch die Stadt etwas bedeutet …

Wie immer in solchen Momenten, suchten sich die Blicke im Publikum, denn: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich klatschte nicht. Weder beim Präsident noch bei der Vizebürgermeisterin, weder beim Ministerialrat noch beim Geschäftsführer. Warum auch? Erstaunlicherweise schloss sich das Publikum mir nur an, als die Dankesworte für die Crew zur Messe abgearbeitet wurden. Ich ärgerte mich, genau hier nicht applaudiert zu haben. Diese Leute hätten sich das wohl verdient – aufgrund ihres Einsatzes, nicht wegen des Ergebnisses. Die Vorfreude, nun anschließend einen Vortrag zu halten, stieg beständig, konnte ich doch auf einige Worte wunderbar antworten und die Sonntagsreden insgesamt in meinen Vortrag in Spannung setzen oder zur Diskussion stellen, wenn etwa auf intelligente Weise von Martin Buber und seinen Vorstellungen zum Dialog referiert wurde – von Leuten aus dem Ministerium, das für gefühlte 90% an der Basis genau diesen Dialog beispielsweise im Schulbau vermissen lässt.

Richtig munter wurde ich erst, als ich das selbstgefällige »So, und jetzt schauen wir uns die Messe an!« vernahm und sich die wechselseitig geehrte und von Pressefotografen wie von Fliegen umschwirrte Kleingesellschaft anschickte, den Saal zu verlassen. Keine Ankündigung, wie es hier weitergeht? Nach ein paar Sekunden wurde mir bewusst: Jetzt muss ich etwas sagen, sonst sind alle weg! Also huschte ich schnell aufs Podium und ran ans Mikro: »Wer nun eine kritische Reflexion hören und sehen will, was Politik, Verwaltung und Wirtschaft nicht an Versprechen einlösen, kann hier bleiben, alle anderen – wie auch die Verantwortlichen – können gehen.« Die kleine Schar an Wichtigen hielt kurz an, sie standen eine Weile im oberen Drittel auf den Stufen neben dem Saalausgang, ehe sie sich davonschlichen … ich nehme an, die Messe hat ihnen beim Rundgang sehr gut gefallen.

Mein dann folgender Vortrag war nicht gut. Ich war zu wütend und schimpfte mich durch meine Redezeit. In der Erregung habe ich auch die Tonaufnahme vergessen (weswegen es hier keine Wiedergabe gibt). Das Publikum war dennoch freundlich zu mir. Nach einer halben Stunde wurde ich nach Lösungen gefragt. Natürlich gibt es die – sie sind allerdings keine Rezepte mehr. Lösungen geraten zu Anleitungen für Wege, die jede Schule selbst wählen ›muss‹ und gehen ›darf‹ (nicht im Sinne des Erlaubt-Seins). Im Wesentlichen kann ich vieles aus meinen Vortrag auf ein Zitat von Hartmut von Hentig konzentrieren. Er fragte 1971(!) in seinem Büchlein ›Cuernavaca oder: Alternativen zur Schule?‹ (Klett/Kösel. Stuttgart/München 1971, S. 132):

Als was wir die Sterilisierung unserer Selbsterfahrung, unserer inneren Umwelt überleben, weiß niemand.

An jenem Tag habe ich diesen Satz noch tiefer verstanden.

Anmerkungen aus einer anderen Welt

 

​Endlich ist es soweit! Ich freue mich, auf die Webdokumentation der 4. Leerstandskonferenz hinweisen zu können. Das Architekturbüro ›nonconform architektur vor ort‹ hat gemeinsam mit dem Architekturjournalisten und Buchautor Wojciech Czaja und meiner Plattform ›schulRAUMkultur‹ das Konzept für diese Veranstaltung am 15. und 16. Jänner in Leoben entwickelt. Wir haben die ungenutzten, räumlichen Potenzialen (teil)leerstehender Schulen in Form von Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen mit 120 Personen erörtert.

Eine konventionelle Schule steht halb leer, wenn sie voll im Betrieb ist - soweit die immobilientechnische Sicht. Es geht nun darum, erkennen zu lernen, was da ist. Schule hat mehr Möglichkeiten als sie derzeit weiß. Das gilt es für uns alle (Schulpartner, Schulerhalter, Schulerplanung) in unseren Denkmustern wie Handlungspraxen zu ändern.
Sehen Sie selbst: ein 12-minütiger Trailer auf Youtube gibt Ihnen eine guten ersten Überblick. Zudem sind auch Vorträge mit PDF-Folien und Tonspur nachzuhören. Da ist viel dabei, was Sie so noch nicht kennen! Ich habe zusätzlich meinen Vortrag eingebettet (und entschuldige mich für die schlechte Tonqualität).

 

Video: 4. Leerstandskonferenz ›Auslastung: Nicht genügend‹

 

Video: Vortrag Michael Zinner ›Notlösung. 2 Jahre Schule ohne Schule‹

Schulraumkultur lässt sich mit der Qualität der gebauten Welten, in denen Schule stattfindet, und mit der Qualität, wie es dazu kommt, umschreiben. Dass an beidem, also dem Weg und dem Ziel, Veränderungen not-wendig sind, bestreiten weder ExpertInnen, noch die Verwaltung noch die Schulpartner. Wir leben in einem Jahrzehnt der Umbrüche und Neuanfänge. Dennoch haben wir es nach wie vor nur mit Pilotprojekten zu tun. Bis heute ist es weder den Ländern und noch dem Bund in Österreich gelungen, neues Wissen systematisch und nachhaltig  in die Praxis der Schul- und Bauverwaltung zu implementieren. Nach wie vor sind unsere Vorschriften und Normen in ihrer Art zu eng vorschreibend, in den Inhalten nach Disziplinen und Sektoren zu stark getrennt und in den Verfahren zu wenig offenen angelegt. Und weil Neu/Um/Weiterbauen von Schulen mittlerweile als hochkomplexer Vorgang sehr vielen Verfahrensregeln und Richtlinien aus den Bereichen Finanzierung, Verwaltung, Vergabe, Sicherheit, Planung, Technik und Schulorganisation unterliegt, sind die handelnden Akteure in den Systemen auch persönlich sehr gefordert, Gewohntes und Althergebrachtes in den Strukturen wie im Denken zu überwinden. Drei Beispiele für mittlerweilen typische strukturell manifeste Blockaden:

Erstens das Denken in säuberlich getrennte Budgets. Beispielsweise behindert das Abgrenzen von Baubudget und Möbelbudget zu oft das angemessene Agieren im konkreten örtlichen und sozialen Kontext. Neuere pädagogische Praxen in alten Mauern zu ermöglichen, kann ein höheres Investment im Möbelbereich bedeuten als bisher üblich, schlicht weil sich in Zukunft die räumlichen Lernarrangements schneller und öfter verändern werden und damit die Möbel mehr können müssen. Auch die Art des Förderns von Schulbauten durch unterschiedlich zuständige Landesabteilungen kann behindern, vor allem dann, wenn nicht miteinander sondern gegeneinander und damit schnell zum Un-Wohl der Betroffenen agiert wird.

Zweitens der Fokus der Projektentstehung. Im Bereich der Finanzierung und Förderzusage wird zwar nach dem Prinzip größtmöglicher Verteilung das Niveau nach unten über überaltert formulierte Flächenerfordernisse gesichert, aber es fehlt der Mut zu systematisch verankerten und fordernden Förderungen als Ermöglichungsstrategie für mehr. Mit einer niederschwelliger Informationsstrategie, die für große wie vor allem für kleinere ›Kunden‹ (also Schulen beziehungsweise Gemeinden) das Niveau des spezifischen Wissens bewusst anheben hilft, müsste der Zugang zum entstehenden Projekt vielmehr ein einbindendes aber führendes Fördern als ein bestimmendes aber defensives Verteilen sein.

Schließlich drittens die Monokultur der Projektentstehung. In einem meist sehr intransparenten Milieu von politischen Kriterien bleiben als einziger sachlicher Nenner meist die Zahlen: Baukosten als zentrale Dimension der Berechnung lassen sich dann auch noch im Namen des Klimaschutzes erhöhen (Wärmedämmung lässt sich nämlich berechnen und damit politisch verkaufen), aber Argumente, die auf langfristige, örtliche, dezentrale und mittelbare soziale Wertschöpfung angelegt sind, bleiben angesichts ihrer Komplexität und ihrer mitunter kurzfristen Ergebnislosigkeit schnell auf der Strecke. Für etwas einzustehen, dass sich vielleicht erst später beweisen wird, würde einen neue Kultur voraussetzen: weg von der Tages-Politik hin zur Vierteljahrhundert-Politik. Politik müsste sich – ähnlich dem jahrgangsübergreifenden Lernen, das die Geisel der angenommenen Leistungsgleichheit überwinden wird – zu einem legislaturperiodenübergreifenden Führen, das die Geisel der nächsten Wahl nicht im Fokus hat, entwickeln.

Die entscheidenden Veränderungen liegen daher vorerst und vor allem in den handelnden Personen, die kraft ihrer persönlichen Reife (Einsicht, Akzeptanz, Mut, Durchhaltevermögen) Institutionen mit verändern und damit auch die Welt verbessern helfen. Für Kommunen schlage ich dazu in einer jüngst erschienenen Publikation drei Handlungs-Empfehlungen vor: zusammenführen, einbinden und querfinanzieren. Meine Gedanken wurden in der ›Österreichischen Gemeindezeitung‹ des Städtebunds in der Doppelausgabe 12/2014 und 01/2015 veröffentlicht. Den Schwerpunkt dieser Nummer bildet das Thema Bildung, das richtigerweise »zunehmend zu einem kommunalen Thema« wird. Sie können den Artikel auch direkt beim Städtebund unter www.staedtebund.gv.at/oegz nachsehen. Auf alle Fälle bitte ich Sie – in der Verwaltung – um ein aufrichtiges Ernstnehmen meiner Empfehlungen. Es ist einfach, alles wegzuwischen und abzutun. Werden Sie zu einem (Mit)Grund für Entwicklung. Wo immer Sie können, ermöglichen Sie etwas Inhaltliches, etwas Tiefgreifendes. Zum Beispiel das innerliche Umbauen statt das äußerliche Dämmen. Der Dank aus der Zukunft ist Ihnen gewiss.

Warm anziehen reicht nicht