schulRAUMkultur

die Schule als Gelegenheit

Schule in der Villa © 2014 Michael Zinner

Als ich die frisch gegründete ROSE 2014 besuchte, bezauberte mich dieses erste Bild. Das orange Licht der Vorhänge, der leicht wehende Wind in den Zeichenblättern, die stille Zufriedenheit im Garten vor der Tür … ich atmete tief durch und hatte den Leitspruch der Schule vor Augen … eine ROSE ist eine ROSE … ist eine Schule. Lächelnd nahm ich wahr, wie einfach und selbstverständlich sich dieser Ort anfühlte. Er war im besten Sinn radikal. Die Villa wurde als Wohnhaus errichtet. Und die ROSE genoss diese Villa als Wohnhaus für das Lernen.

Sieben Jahre und zwei Übersiedlungen später wohnt nun die ROSE in der Tabakfabrik in Linz. Die Schule ist sich treu geblieben. Auch in Linz bleiben die ehemaligen Lagerräume spürbar. Die Selbstverständlichkeit, mit der die ROSE Räume annimmt bzw. in ihnen lernt, lebt und wohnt, hat sich seit 2014 weiterentwickelt. Jedes Mal freue ich mich aufs Neue, wenn die vielen Menschen, die vorbeikommen, ihre Frage stellen: „Was ist das?“ Wie schön, dass sich diese Schule ihre genuine Erotik erhalten kann … die Räumlichkeiten werden nicht erkannt als ein Schulbau, der auf eine lange Tradition von demütigendem wie gewalttätigem Raum zurückblickt.

Schule im Großraumbüro © 2022 Michael Zinner

Im feudalen Alteuropa haben sich Schulen in Räumen eingefunden, die schon einen Sinn in sich trugen, wie das Kloster beispielsweise oder ein kleines Wohnhaus. In den Jahrhunderten danach wurde unter der Feder von Fachleuten Schule zur Type. Eine beträchtliche Anzahl an Typologien wurden erfunden. Es galt, effiziente bauliche Leistungsformen für „Schule“ zu kreieren. Und diese Zweck-Ausrichtung riechen wir noch heute alle. Zweck ist nicht Sinn. Schule verkam auch baulich zu einer utilitaristischen Tat, scheinbar gut, doch im Grunde entmenschlicht. Wir kennen sie also alle: die Gangschule, die Pavillonschule, die Hallenschule oder neuerdings die Clusterschule.

Im modernen Europa können wir von einem nach-typologischen Schulbau sprechen. Solche Schulen suchen sich Gelegenheiten, nutzen Netzwerke, erkennen Zwischenräume oder günstige Momente. Die Volksschule Feldkirchen an der Donau, die während einer Bauzeit den gesamten Dorfkern belebte, ist so ein Beispiel, das ich hier im Blog bereits beschrieben habe (Ein ganzer Ort macht Schule). Und die ROSE ist nun ein nächstes Beispiel für eine Schule, die die Stadt und den digitalen Hub um sich herum als ihre Welt versteht, nutzt und belebt. Die ROSE hat kein Raumprogramm, sie nutzt fix oder temporär (an)gemieteten Bestand auf wohnliche Weise.

Schule im Industriebau © 2022 Michael Zinner

Fast alle Schul(baut)en erleiden atmosphärische Infarkte, selbst die besten und später ausgezeichneten Bauten. Sie alle schaffen es nicht, die ungeschminkte Wahrheit zu verstecken, nämlich von einer – im tieferen Sinn des Wortes – „gnadenlosen“ Verzweckung, Rationalisierung und Nutzsteigerung getrieben zu sein. Wenn aus allen Ritzen Putzbarkeit, Haftungssicherheit und Bestleistung herausschreien, bleibt das spürbar. Menschen spüren das (meist ohne es beschreiben zu können), Kinder und Jugendliche noch ungeschönter, weil sie noch offener als Erwachsene sind, die sich und ihre Wahrnehmung von Welt bereits arrangiert haben. Ich hoffe, die ROSE fühlt sich anders an.

Im Bereich von Architektur und Raumordnung eignen sich Schulen hervorragend für die anstehende „Weltrettung“ (ja, es darf mittlerweile so gesagt werden): sie sind die am häufigsten nötige öffentliche Bauaufgabe und bergen damit das wirksamste Potenzial für eine gesellschaftliche Vorbildfunktion im Umgang mit Raum und Boden. Was die Fachwelt(en) im Schulbau beweisen könnten, ist, wie Wege aus der Boden-Not sinnvoll beschritten werden müssen. Ich lade daher Landesregierungen, Bund und BIG ein, Schulbau nicht mehr als Neubau auf die grüne Wiese zu stellen. Bestand, Bestand, Bestand … ob eine aufgelassene Supermarktfiliale, ein altes Lagerhaus, ein nächster Bauernhof … alle diese im doppelten Sinn „raumgewordenen Energien“ sind schon da – nutzen wir sie bitte. Lernen wir zumindest, unsere Gier nach „Mehr“ nicht quantitativ, sondern qualitativ zu leben.

Schule im Ex-Fabriksgelände © 2022 Michael Zinner

 

der Text von Michael Zinner über die ROSE vom 04.Juli 2023

der Artikel von Wojciech Czaja im online-Standard vom 17.September 2022

der Artikel von Reinhold Gruber in den online-Nachrichten vom 23.April 2022

der Link zur Präsentation der ROSE bei architektur in progress am 15.06.202

der Link zum Eintrag der ROSE in die Architekturdatenbank "nextroom"